Ein Lichtschalter für Neuronen
So wie man eine Leselampe an eine Steckdose anschließt, um sie zum Leuchten zu bringen, gibt es umgekehrt auch bestimmte chemische Verbindungen, die Licht in Elektrizität verwandeln können. In der Biologie nennt man solch eine Klasse von Verbindungen “lichtempfindliche Proteine” und man findet diese zum Beispiel in bestimmten in Süßwasser lebenden phtosynthetischen Grünalgen. Man kann sie sich wie Solarzellen in einer Photovoltaikanlage vorstellen, womit elektrische Energie aus Sonnenlicht erzeugt wird. Wenn man nun mit genetischer Manipulation diese lichtempfindlichen Proteine aus der Alge entnimmt und in eine Maus oder in menschlichen Neuronen implantiert (und Neuronen sitzen natürlich tief im Gehirn und haben noch nie das Tagelicht “gesehen”), dann kann man plötzlich die Aktivität von derart genetisch manipulierten Neuronen durch einen Lichtpuls steuern: Dabei wird experimentell eingestrahltes Licht mit Hilfe der in den Neuronen implantieren lichtempflindlichen Proteine in elektrischen Stromfluss verwandelt. Und Neuronen kodieren Information ja als elektrische Signale. Das ist die Kernaussage der Optogenetik.
Und warum ist das wichtig? Warum wollte jemand mit einer solchen “licht-gesteuerten Fernbedienung” die elektrische und damit informationskodierende Aktivität von Neuronen beeinflussen? Die Antwort liegt darin, dass Neurobiologen wie Ingenieure denken: Wir würden als Ingenieur einer Maschine nie in der Lage sein, etwas zu kontrollieren, das wir gar nicht in seiner Funktion verstehen. Auch wenn wir eines Tages mit neuen biochemischen Messmethoden feststellen könnten, woraus jedes kleine Neuron zu jedem beliebigen Zeitpunkt chemisch besteht (was heute noch nicht möglich ist), dann müssten wir diese chemischen Fingerabdrücke verstehen und erforschen, welche funktionelle Bedeutung sie haben. Weil das sehr komplex ist, wissen wir über neuronale Netzwerke tatsächlich noch recht wenig. Deshalb bauen Wissenschaftler auf optogenetische Ansätze, um herauszufinden wie unsere Wahrnehmung und Emotionen aus dem Fluss und der Speicherung von Information im Gehirn berechnet werden. Diese Wissenschafter nehmen die Herausforderung an, indem sie mithilfe optischer und genetischer Methoden die Abläufe in Neuronen funktionell bestimmen. Sie haben lichtempfindliche Protein so in Neuronen eingepflanzt, dass deren elektrische Aktivität und damit ihre Funktion durch Laserlicht bestimmter Wellenlänge an- oder ausgeschaltet werden kann. Derart genetisch modifizierte Zellen lässt man anschließend in funktionellen neuronalen Netzwerken innerhalb eines lebendigen Tieres (zB. in einer Maus) aufwachsen. Dabei ist es zum Verständnis dieses Ansatzes wichtig zu betonen, dass Neuronen einzeln oder in beliebig definierbaren Gruppen mit eingestrahltem Laserlicht optogenetisch ein- oder ausgeschaltet werden können, während Nachbarneuronen optogenetisch unverändert bleiben.
Wir können aber noch nicht davon träumen effektive Behandlungsmethoden für neuronale Erkrankunken zu entwicklen, wenn wir nicht vorher bestimmen können, welche Neuronen im Lauf einer neuronalen Erkrankung beeinträchtigt werden oder absterben. Neuronale Erkrankungen des Gehirns wie Depression, Schizophrenie, Neurosen, Epilepsie oder Alzheimer verändern unser Wesen, wer wir sind und wie wir handeln, indem sie bestimmte Klassen von Neuronen in spezifischen Gehirnregionen in ihrer Aktivität und Funktion verändern. Mit Hilfe der Optogenetik können wir mit diesem Wissen nun sehr spezifisch untersuchen, was im Gehirn großräumig geschieht, wenn zum Beispiel eine kleine Gruppe von erkrankten Neuronen nicht mehr aktiv ist. Nehmen wir an, dies wäre jene Gruppe von Neuronen, die bekannterweise während eines epileptischen Anfalls wiederkehrend überaktiviert würde. In der Tat sind Neurowissenschaftler bereits imstande, die Aktivität dieser Neuronen einfach abzuschalten, indem sie Laserlicht auf sie fokussieren. Dadurch sind sie in der Lage epileptische Anfälle durch die Anwendung der Optogenetik zu beenden. Obwohl derartige optogenetische Experimente bisher erst in tierischen Modellsystemen durchgeführt worden sind (so etwas in genetisch modifizierten Mäusen oder Ratten, die unter solchen den Menschen gleichenden Erkrankungen des Gehirns leiden), so öffnen sich damit gänzlich neue Behandlungsmöglichkeiten für neuronale Erkrankungen, und zwar medizinische Interventionen ohne Nebeneffekte und ohne das Gewebe mit einem Skalpell aufschneiden zu müssen.