Geheimnisvolle Strahlen
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Geheimnisvolle Strahlen

18. September 2018 | von Thorsten Naeser/scinexx

Architekten der großen europäischen Kathedralen waren Meister ihres Faches. Im Straßburger Münster findet man dazu ein eindrucksvolles Beispiel. Zweimal im Jahr wird Jesus Christus dort von einem grünen Licht angeleuchtet.

Mittelalterliches Mysterium: Im Straßburger Münster scheint zum Frühlings- und Herbstanfang ein „grüner Strahl“ direkt auf eine Christusfigur an der Kanzel. Der Lichteffekt galt als Zufall. Doch nun belegt der Symbolforscher Oliver Wießmann in seinem neuen Buch „Der grüne Strahl“: Die mittelalterlichen Baumeister richteten Kirchenfenster, Kanzel und Christusfigur absichtlich so aus, dass das grüne Leuchten zur Tagundnachtgleiche eintritt. Ähnliches gilt für einen „weißen Strahl“ zur Wintersonnenwende.

Ein besonderes Lichtspektakel stellt sich zum Frühlings- und Herbstanfang im Straßburger Liebfrauenmünster ein: Um die Mittagszeit des 23. September durchquert ein grüner Lichtstrahl das Kirchenschiff. Punktgenau beleuchtet er nacheinander den Gekreuzigten und einige Begleitfiguren auf der spätgotischen Kanzel aus dem Jahr 1485. Zur Wintersonnwende am 21. Dezember wiederholt sich das Schauspiel, dann mit einem weißen statt einem grünen Lichtstrahl.

Was hat es mit dem Lichteffekt auf sich? Klar ist: Der grüne Strahl kommt von einem Seitenfenster gegenüber der Kanzel. Im Glasmosaik dieses Fensters deutet König Juda auf einen seiner grünen Schuhe. Das grüne Schuhglas ist es, das zweimal im Jahr für rund 20 Minuten den Lichtstrahl erzeugt. Den Zusammenhang mit den Äquinoktien hat erstmals Maurice Rosart in den 1970er Jahren erkannt. Der Straßburger Vermessungsingenieur vermutete im Lichteffekt ein mittelalterliches Eichwerkzeug, beispielsweise für eine der großen Uhren im Kirchengebäude. Doch offiziell gilt der Effekt als bloßer Zufall.

Jetzt hat Wießmann Indizien dafür gefunden, dass die Kirchenbaumeister des Mittelalters den grünen Strahl sehr wohl beabsichtigt hatten. Damals war das keine Seltenheit. Solche architektonisch erzeugten Lichtstrahlen finden sich häufig in der sakralen Architektur. Einen Hinweis lieferten dem Forscher die Konstrukteure selbst: „Ihre Bauhütten stellten im Mittelalter eine geschlossene Kaste dar und besaßen Souveränität“, erklärt Oliver Wießmann. „Dort pflegten sie ein Wissen, das heute als Antike Theologie bekannt ist.“. Hier spielten Natur, Astronomie und ihre Zyklen eine wichtige Rolle.

Die Markierung von astronomische bedeutsamen Daten wie der Tagundnachtgleiche oder der Sonnenwende, aber auch die Verwendung astrologisch-astronomischer Symbolik im Kirchenbau war daher für die Dombaumeister des Mittelalters normal. Indizien, dass das auch beim Straßburger Münster der Fall war, finden sich unter anderem an den Verzierungen des Hauptportals. In einem Dokument des ursprünglichen Kanzelentwurfs gebe es zudem Hinweise auf den grünen Lichtstrahl.

Auffallend auch: Die Hauptachse der Kathedrale ist nicht, wie sonst üblich, in Ost-West-Richtung ausgerichtet. Stattdessen weicht sie um 30 Grad von dieser Richtung ab. Ein Beweggrund der Dombaumeister für diese Abweichung könnte gewesen sein, die Kirche auf das Sternbild Virgo auszurichten, das sie der Gottesmutter Maria zuordneten.

Gleichzeitig kann nur dadurch die Sonne zur Tagundnachtgleiche durch das Kirchenfester fallen und den Strahl erzeugen. Ein zweiter weißer Strahl fällt zur Wintersonnenwende am 21. Dezember auf die Kanzel und illuminiert ebenfalls wie ein Zeiger deren Figuren. Einen Beleg dafür, dass der grüne Strahl schon im Mittelalter existierte, fand Wießmann auch in alten Schriften des Johann Geiler von Kaysersberg. Der Theologe, für den die Kanzel erbaut worden war, bezog sich in Reden auf den grünen Strahl. Nach Ansicht des Symbolforschers spricht daher einiges dafür, dass der grüne Strahl kein Zufall ist.

Buchtipp:
Der grüne Strahl
Salier Verlag
ISBN: 978-3-943539-75-2
Buch, Hardcover, 360 Seiten
Format: 17 x 24 cm
Preis: 39,90 EUR

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