Schöne Bilder – halbe Wahrheit
Das Verändern von Fotos hat eine lange Tradition. Das zeigt die Online-Ausstellung „Bildmanipulationen in der Fotografie“ des Kunsthistorischen Instituts der Max-Planck-Gesellschaft.
al ehrlich! Wer hat nicht schon mal seine Bilder so lange nachbearbeitet, bis sie den eigenen Vorstellungen und nicht mehr unbedingt der Realität entsprachen? Aber keine Sorge. Jeder der schon mal Filter, Stempel oder andere Werkzeuge bei seinen Fotos eingesetzt hat, reiht sich ein in eine lange Tradition. Die nachträgliche Bearbeitung von Fotografien ist so alt wie das Medium selbst. Das zeigt die Online-Ausstellung „Bildmanipulationen in der Fotografie“ des Kunsthistorischen Instituts der Max-Planck-Gesellschaft. Anhand historischer und moderner Verfahren der Bildbearbeitung erzählt die Ausstellung die Technikgeschichte der fotografischen Retusche. Sie enthüllt, wie „konstruiert“ selbst Dokumentarfotografien sein können.
Der Blick zurück nach vorn
Das Angebot der sozialen Medien kommt einer Einladung zum Beschönigen gleich. Schon bevor man überhaupt ein Bild dort hochladen kann, wird man darauf hingewiesen, dass man auf sein Foto noch schnell den ein oder anderen Filter anwenden kann. Schmackhaft wird einem das Ganze dann zusätzlich durch kleine Vorschaubilder gemacht, die durchaus ihren Reiz haben. Also fängt man an zu spielen, zu verändern und damit die Wahrheit zu beschönigen. Auf einmal haben die Menschen auf den Bildern reinste Haut, der eigentlich triste Wolkenhimmel wird dramatisch oder das Wasser eines Tümpels sattblau wie in der Karibik.
Mit solchen, diplomatisch ausgedrückt, „Anpassungen“ reiht man sich nahtlos ein in die lange Tradition der Bildmanipulation. „Die Geschichte der Bildmanipulation ist nicht allein an die Fotografie gebunden. Tatsächlich finden sich ihre Anfänge bereits in der Vor- und Frühgeschichte“, erklärt Dagmar Keultjes, die sich am Institut in Florenz mit dem Phänomen wissenschaftlich beschäftigt. „Offenbar verspürten Menschen von Anfang an das Bedürfnis, bildnerische Werke nach ihrer Fertigstellung erneut zu überarbeiten.“
So war auch schon die nachträgliche Bearbeitung von Fotos in den Anfangsjahren der Fotografie an der Tagesordnung. Die teils gravierenden technischen Mängel, wie Unschärfe oder die falsche Wiedergabe von Tonwerten mussten ausgeglichen werden. Dies geschah durch Korrekturen auf dem Positiv oder direkt auf dem Negativ. Bald wurden auch inhaltliche und ästhetische Änderungen vorgenommen.
„Während die Bildmanipulation bereits durch die Wahl der Objektive oder die Lichtsetzung bei der Aufnahme erfolgen kann, steckt im Terminus Retusche die Bedeutung „erneut berühren“ oder eben „überarbeiten“, erläutert Keultjes. „Der Schwerpunkt meiner Doktorarbeit lag auf der Verwendung der Retusche in den ersten Jahren der analogen Fotografie, insbesondere auf den frühen Negativen aus Papier und Glas“, erklärt die Kunsthistorikerin. „Retuschierende Eingriffe sind auf dem positiven Abzug für den Betrachter oft unsichtbar, doch auf dem zugehörigen Negativ sind sie als Papiermaske oder rote Konturlinie, als Ritzung oder Graphitpulver noch heute sichtbar.“
Im Lauf des 19. Jahrhunderts bildete sich ein eigener Berufszweig heraus: der des Retuscheurs. Die damaligen Techniken und Werkzeuge finden sich heute auch in der digitalen Bildbearbeitung wieder. Tools wie „Pinsel“, „Filter“ oder „Maskieren“ leiten sich direkt von den analogen Retuschewerkzeugen und -techniken ab.
Damals waren Radiermesser und Bleistift die Mittel der Wahl, um in Porträtaufnahmen Falten auszugleichen oder verschattete Bereiche aufzuhellen. Einen solchen Eingriff in die Realität zeigt das Portrait einer jungen Frau. Das Bilderpaar stammt aus einem Handbuch für Fotoretuschen aus dem Jahr 1903. Ihre geschlossenen Augen wurden durch ein gezeichnetes Augenpaar ersetzt.
Negativretuscheur bei der Arbeit am Retuschierpult. Aus: Hans Arnold, Die Negativ-Retouche nach Kunst- und Naturgesetzen. Mit besonderer Berücksichtigung der Operationen: Beleuchtung, Entwicklung, Exposition und des photographischen Publikums, Wien 1892