"Sonnenanbeterinnen sind mir bei weitem die liebsten Insekten"
Wie viele Bilder muss man machen, bis man das perfekte Bild in der Hand hält?
Die Erfolgsrate wechselt von Mal zu Mal und Modell zu Modell und schwankt zwischen 1 und 100%. Da ich glücklicherweise mit einem digitalen Medium arbeite, entstehen mir keine zusätzlichen Kosten, wenn die Bilder mal misslingen. Ich weiß aber nicht, ob ich die Bilder, die dann weiterverarbeitet werden, als perfekt bezeichnen würde - manche nähern sich vielleicht auf asymptotische Weise diesem Ideal, aber das perfekte Foto muss ich erst noch schießen.
Von der Natur ins Wohnzimmer: "Oft bekomme ich das Feedback, dass ich sogar Leute mit einer Insektenphobie umgestimmt habe!"
Haben Sie ein Lieblingsmotiv, eine Pflanze oder ein Tier, das Sie besonders gern fotografieren?
Sonnenanbeterinnen sind mir bei weitem die liebsten Insekten. Sie haben einzigartige Qualitäten, die sie von anderen Insekten unterscheiden und sie besonders machen. Die Fähigkeit, ihren Kopf zu drehen, große, kuppelförmige Augen mit einem Paar Pseudopupillen (die dunklen Punkte, die einem zu folgen scheinen), ihre Fangbeine, mit denen sie ihre gefangenen Beutetiere manipulieren oder sich auf die Paarung vorbereiten - all das lässt sie anthropomorph und wie von einer anderen Welt erscheinen. Sie kommen in unterschiedlichen Formen und Farben vor; manche verkleiden sich als Blumen, oder als frische oder getrocknete Blätter oder Zweige. Und selbst wenn ihre nahezu perfekte Camouflage auffliegt und sie von einem Vogel oder einer Katze bemerkt werden, haben sie immer noch einen Plan B - ein einschüchternder Auftritt, der den Angreifer verschrecken soll. Die Insekten heben dann ihre buntfarbigen Vorderbeine und Flügel an und zeigen dabei Kontrastmuster oder Augenflecken und scheinen um das Doppelte zu wachsen. In diesen Momenten sind Sonnenanbeterinnen besonders großartig. Das alienartige Aussehen der Sonnenanbeterin in Kombination mit gewissen Eigenschaften, die an eine Fee oder einen Schmetterling erinnern, scheint eine kognitive Dissonanz bei einigen Betrachtern zu erzeugen, und normalerweise reicht das, um für einen Moment ihre Aufmerksamkeit zu halten. Die dramatischen Posen scheinen auch bestimmte Assoziationen zur Popkultur heraufzubeschwören (z.B. das Lied “Time Warp” oder der Film “Karate Kid”). Ich glaube, das macht es auch leichter, einen Zugang zu den Insekten auf den Bildern zu finden. Dass ich meine “Modelle” auf Augenhöhe zeige, hat auch noch einen anderen Effekt - indem sie nämlich aus unserer Perspektive gezeigt werden und aus ihrem eigentlichen Kontext herausgerissen werden, bekommen die Tiere plötzlich anthropomorphe Eigenschaften, Persönlichkeit und Charme. Oft bekomme ich das Feedback, dass ich sogar Leute mit einer Insektenphobie umgestimmt habe! Und manche Leute haben sich entschieden, sich meine Fotos tätowieren zu lassen - die höchste Auszeichnung für jeden Künstler. Leider habe ich zu niemandem Kontakt, der meine Bilder auf seinem Körper trägt. Meine Lieblingspflanze war bis jetzt der bucklige Wasserschlauch. Das hört sich zwar nach einer magischen Pflanze aus Harry Potter an, dabei handelt es sich aber um eine fleischfressende Süßwasserpflanze, die man in regionalen Teichen finden kann. Vielleicht ist es die Perversion der Rollenumkehrung, dass eine Pflanze ein Tier verspeist, die fleischfressende Pflanzen so interessant macht. Mich faszinieren fleischfressende Pflanzen jedenfalls seit meiner frühen Kindheit - der Film “Kleiner Laden voller Schrecken” könnte meine Faszination ausgelöst haben. Der aquatische Wasserschlauch war aber auf den ersten Blick wesentlich weniger aufregend als z.B. die Venusfliegenfalle oder die Urnenpflanze; der Wasserschlauch kann nur Wasserflöhe und Ruderfußkrebse als Beute erlegen, deshalb war diese Pflanze nicht oben auf meiner Wunschliste. Tatsächlich aber gehört diese Pflanze zu den entwickeltsten Fangorganen im Pflanzenreich, sie ist ein wahres Zeugnis für den Einfallsreichtum der Natur. Oft übersetzt unser Bewusstsein die Funktionalität natürlicher Formen in Schönheit, und die Falle des Wasserschlauchs ist dafür ein gutes Beispiel. Wasserschläuche sind dafür bekannt, dass sie eine enge Beziehung zu einzelligen Algen, den sogenannten Zieralgen, haben; die Klasse der Zieralgen umfasst mehr als 8000 Spezies weltweit und zeigt eine große Vielfalt an Formen und Größen. Ein Bonus, den Wasserschlauch zu finden, bestand darin, auch auf diese wunderschönen Algen zu stoßen. Ich war sofort verrückt nach ihnen, ein Phänomen, das man unter Mikroskopisten als “Zieralgenzucken” bezeichnet und das darin besteht, dass man zwanghaft bei jedem Teich Wasserproben entnehmen muss.
Gibt es etwas, das Du in Zukunft fotografieren willst?
Das einzige, was mir einfällt, ist der Palmendieb … ich würde gerne zu ein paar Biodiversität-Hotspots reisen, solange es ihnen noch gut geht; also z.B. nach Madagaskar, Borneo, Costa Rica etc. Aufgrund der Pandemie, müssen diese Ziele fürs erste warten, und wer weiß, für wie lange - aber ich werde nicht darauf spekulieren. Vorläufig wäre ich schon zufrieden damit, den amerikanischen Süden zu besuchen, ich liebe das Ökosystem der Wüste und seine Einwohner. Ich würde gerne die Krötenechsen der Wüste auf ihrem eigenen Gebiet kennenlernen.