Light unlimited: ”No object, no image, no point of focus.“
James Turrell's Lichtinstallation im DIMU Freising
icht ist Leben. Es fasziniert und zieht uns magisch an. Als Licht am Ende eines Tunnels wird es zum Symbol der Hoffnung und ist mit Jenseitsvorstellungen verbunden. Wie es sich anfühlt, in einen scheinbar grenzenlosen Lichtraum einzutauchen, kann man aber schon in dieser Welt erleben. Das neu gestaltete Diözesanmuseum auf dem Freisinger Domberg macht dieses Erlebnis in einer einzigartigen Lichtinstallation des international renommierten zeitgenössischen Künstlers James Turrell möglich.
Nach einer umfassenden Sanierung öffnete das Diözesanmuseum Freising im Oktober 2022 nach neun Jahren Restaurierungsarbeiten in völlig neuem Gewand seine Türen. Dabei ist dem DIMU, wie die Institution sich nun in prägnanter Abkürzung nennt, ein wahrer Coup gelungen. Mit dem James Turrell konnte ein international renommierter Künstler für eine speziell für diesen Ort konzipierte Lichtinstallation gewonnen werden. Der 1948 in Los Angeles geborene Künstler widmet sich in seiner Arbeit seit über fünf Jahrzehnten der Auseinandersetzung mit der (Un-)Materialität und Wahrnehmung von Licht.
Mit Bezug auf die byzantinische Ikone der "Lukas-Madonna", ein Glanzstück der Sammlung, entstand ein immersiver, meditativer Lichtraum, den der Künstler mit "A CHAPEL FOR LUKE and his scribe Lucius Cyrene" betitelte und der in verschiedenen schimmernden Farbtönen illuminiert wird. Schon die Bezeichnung legt auf der sinnlichen Ebene eine spirituell-religiöse Assoziation nahe. Doch unabhängig davon, ob man nun gläubig ist oder nicht, verlässt man die Lichtinstallation seltsam verändert, ja geradezu innerlich bewegt und um eine eindringliche Erfahrung reicher.
Beim Betreten des Museumsbaus und seines imposanten Atriums erhascht man durch eine zentrale Bogenöffnung oberhalb eines Treppenaufgangs einen ersten, noch vagen Blick auf das lichtintensive Farbenspiel im Inneren der Kapelle. Und es zieht einen sofort in seinen Bann. Beim Hinaufschreiten der Treppe wird man auf halber Höhe angehalten, Überschuhe über das Schuhwerk zu ziehen, denn wie beim Betreten eines Laserlabors schreitet man nun gleichin einen Reinraum. Und genau hier beginnt die Illusion. Instinktiv will man sich an der bunt erleuchteten Wand abstützen, um beim Anziehen der Kunststoffgamaschen das Gleichgewicht zu halten, bis man schließlich feststellt, dass hier gar keine Wandfläche zu finden ist. Denn der Raum ist konkav und von innen so geschickt ausgeleuchtet, dass eine tatsächliche Mauerfläche durch den gleichmäßigen Lichtschein nur suggeriert und unsere Sinneswahrnehmung getäuscht wird. Auf dem weiteren Weg nach oben muss man zunächst eine erhöhte Schwelle überqueren, die symbolisch deutlich macht, dass man nun einen anderen Bereich betritt, der von der gewohnten Umgebung abgesetzt ist.
Und dann taucht man in ein alles durchdringendes Farbenmeer ein, dessen intensive Lichtnebel ganz allmählich, fast unmerklich, den Farbton wechseln, bis schließlich ein neuer Farbwert den Raum dominiert. Da der Raum oben und unten gleichmäßig abgerundet ist und keine markanten Eckpunkte aufweist, die eine Begrenzung andeuten würden, verliert man durch den Verlust der Tiefenwahrnehmung die Orientierung in dieser allumfassenden Farbflut. Langsam und vorsichtig tastet man sich mit den Füßen zu einer kleinen Bank vor, vor der man eine kreisrunde Aussparung in der abgerundeten Stirnwand sieht, die von hinten in einer anderen Farbe beleuchtet wird. Von vorne betrachtet sieht sie aus wie eine Scheibe, die man rein assoziativ als eine Art Sonnensymbol wahrnimmt. Wenn man sich durch den Raum bewegt, kann sie aber auch als dreidimensionales Tunnelsegment verstanden werden, das zwei Bereiche miteinander verbindet. Durch den Wegfall von Orientierungspunkten hat man das Gefühl, in einem homogenen "Ganzfeld" aus reinem Licht zu stehen, in dem man den Eindruck hat, das Gefühl für Raum und Zeit zu verlieren. Wenn man das Glück hat, den Raum für einige Momente für sich allein zu haben, kann man sich ganz auf die eigene Wahrnehmung in diesem diffusen, schillernden Kokon aus Licht konzentrieren. Und darauf, was diese Wahrnehmung mit einem macht. Denn diese völlig ungewohnte Situation mit ihrer flirrenden Lichtatmosphäre, die einen auf den Grund eines schimmernden Ozeans versetzt, kann an die Empfindungen der frühesten Kindheit erinnern. In eine Zeit, in der wir Phänomene und Dinge einfach mit allen Sinnen als gegeben wahrnahmen und nicht bewerteten, beurteilten, kategorisierten, hinterfragten und damit "entzauberten", bis wir schließlich durch die reflexhafte Klassifizierung unseres abgeklärten Verstandes in unserer Wahrnehmung immer mehr abgestumpft wurden. Turrells Lichtinstallation ist eine Stimulierung der Sinne, vielleicht auch eine Reizüberflutung. Aber sie erlaubt uns, uns selbst neu zu fühlen und wahrzunehmen, und berührt unsere Emotionen auf vielfältige Weise, indem sie uns an das Fundamentale erinnert und es uns vor Augen führt, so wie auch Pflanzen instinktiv das Licht zum Leben suchen. Aber auch wenn man das Raumerlebnis mit anderen Besuchern teilt, bleibt ein faszinierender Eindruck zurück, gerade weil man dann an den anderen staunenden und entspannt-freudigen Gesichtszügen ablesen kann, wie es einem wohl gerade selbst geht. Und oft treffen sich die Blicke der Menschen im Raum, ja suchen sich sogar gegenseitig, um sich unausgesprochen auszutauschen und sich zu vergewissern, dass dies ein gemeinsamer und besonderer Moment ist, bevor jeder wieder seiner Wege geht.
Turrell hat die Erfahrung, die man in seiner lichtdurchfluteten Kapelle machen kann, einmal mit einem Schneesturm verglichen. Wenn man sich darauf einlässt, erklärt er, gibt es keinen Horizont und damit keine Orientierung. Irgendwann verliere man den Sinn für oben und unten und am Ende vielleicht sogar den Sinn für sich selbst. In der Forschung, so erklärt er weiter, wird dies als "Whiteout" bezeichnet.
Anders als die meisten Künstler arbeitet Turell ausschließlich mit dem Einsatz und der Wirkung von Licht als künstlerischem Ausdrucksmittel und verfolgt damit einen Ansatz, der zu seinem Credo geworden ist. Seine künstlerische Strategie beschreibt er wie folgt:
„Zuerst einmal befasse ich mich nicht mit Objekten. Es geht mir allein um Wahrnehmung. Zweitens gibt es bei mir kein Bild, weil ich assoziative, symbolische Gedanken vermeiden möchte. Drittens setze ich keinen Fokus oder bestimmten Ort, auf den sich die Aufmerksamkeit richten soll. Worauf schaut man aber ohne Objekt, ohne Bild und ohne Fokus? Man schaut auf sich selbst, wie man schaut. Das geschieht als Antwort auf unser Sehen und den selbsterkennenden Vorgang des Sich-selbst-beim Sehen-Zuschauens. Durch Sehen kann man Fühlen zum Berühren steigern.“
Und er fügt hinzu, dass Licht für ihn nicht nur ein künstlerisches Mittel zum Zweck ist, sondern der eigentliche Zweck selbst:
"Licht ist nicht so sehr etwas, das offenbart, sondern es ist selbst die Offenbarung."
Mehr Information unter: www.dimu-freising.de/museum/james-turrell