Fossilien aus langweiligen Zeiten
Die bislang ältesten, dreidimensional erhaltenen Mikrofossilien auf Mineralien haben Forscher der TU Berlin, der Akademie der Wissenschaften der Ukraine, des Museums für Naturkunde Berlin sowie des Naturhistorischen Museums in Luxemburg entdeckt. | © Fotos: Ulrich Gernert/TU Berlin

Fossilien aus langweiligen Zeiten

Erstmals haben Forscher der TU Berlin die Form von Mikroorganismen aus der Frühzeit der Evolution vor 1,5 Milliarden Jahren studiert. Sie geben Aufschluss über die frühe Entwicklung des Lebens.

31. Juli 2023 | von Thorsten Naeser und TU Berlin

Die bislang ältesten, dreidimensional erhaltenen Mikrofossilien auf Mineralien haben Forscher der TU Berlin, der Akademie der Wissenschaften der Ukraine, des Museums für Naturkunde Berlin sowie des Naturhistorischen Museums in Luxemburg entdeckt. Gefunden wurden sie in der Volyn-Quarzmine in der Nähe der ukrainischen Stadt Shitomyr. Ihre ursprüngliche Form wurde durch eine hauchdünne Schicht aus Aluminium-Silikat erhalten, die sich aufgrund der besonderen geologischen Situation bildete. 

„Es ist faszinierend, dass wir hier zum ersten Mal die Fossilien von Ur-Mikroorganismen unter dem Rasterelektronenmikroskop zu sehen bekommen“, freut sich Professor Dr. Gerhard Franz vom Institut für Angewandte Geowissenschaften der TU Berlin.

„Es ist faszinierend, dass wir hier zum ersten Mal die Fossilien von Ur-Mikroorganismen unter dem Rasterelektronenmikroskop zu sehen bekommen“, freut sich Professor Dr. Gerhard Franz vom Institut für Angewandte Geowissenschaften der TU Berlin. „Eigentlich wollten wir Beryll und Topas aus der Mine untersuchen. Doch was wir jetzt gefunden haben, ist viel wertvoller als Edelsteine.“ Die Funde sind die ersten fossilisierten Mikroorganismen, die aus der Zeit der „boring billion“ stammen, also der ersten, scheinbar langweiligen Milliarde von Jahren vor der sogenannten Kambrischen Explosion. Denn erst vor etwa 600 Millionen Jahren, hat die Evolution Skelette aus Kalziumkarbonat und Phosphat erfunden. Es entstanden Wirbellose wie Muscheln, Korallen oder Schnecken und dann die Wirbeltiere mit Rückgrat. Diese Biomineralisation machte echte Fossilien mit erhaltungsfähigen Skeletten erst möglich.

Weil die Lebewesen vor mehr als 600 Millionen Jahren keine Skelette hatten, konnten sie sich eigentlich nicht in ihrer Form erhalten. Darum weiß man wenig über diese Zeit. „Was wir jetzt gefunden haben, ist wertvoller als Edelsteine“, sagt Gerhard Franz. „Unter dem Elektronenmikroskop sehen wir meist faserige Strukturen. Entweder dünne Filamente, die sich verzweigen, oder dicke, die Ausstülpungen und Dellen aufweisen.“ Die Dicke variiert zwischen zehn und 200 Mikrometern, die Länge beträgt bis zu mehreren Millimetern. Man kann die Ur-Mikroorganismen also auch mit bloßem Auge erkennen. Besonders spannend: Die Forscher haben auch einige wenige, bisher unbekannte Formen von Mikroorganismen gefunden. Sie wiesen schalen- oder kugelförmige Strukturen auf oder verzweigte, tentakelartige Äste.

„Über Kohlenstoffisotope konnten wir den Nachweis führen, dass es sich um Lebewesen gehandelt hat“, erklärt Gerhard Franz.

„Über Kohlenstoffisotope konnten wir den Nachweis führen, dass es sich um Lebewesen gehandelt hat“, erklärt Gerhard Franz weiter. Die Datierung ergab ein Alter von mindestens 1,5 Milliarden Jahren. Außerdem haben die Forschenden in einigen fadenförmigen Objekten mit Hilfe von Infrarotspektroskopie den Stoff Chitosan nachgewiesen sowie die Elemente Wismut und Tellur. „Das deutet auf einen pilzartigen Organismus hin“, sagt Franz. Das trifft aber nur auf einen Teil der Funde zu. „Von den anderen fossilisierten Mikroorganismen vermuten wir, dass es sich um Ein- oder Mehrzeller mit ausgeprägten Zellstrukturen gehandelt hat.“ Wahrscheinlich lebten diese mit den Pilzen in einem Ökosystem.

Der Fundort der fossilierten Ur-Mikroorganismen auf Granitgestein in einer Quarz-Mine lässt sowohl auf ihre Lebensweise wie auch auf die Gründe für ihren guten Erhaltungszustand schließen. „Auch heute gibt es Mikroorganismen bis zu drei Kilometer tief in der Erdkruste“, erklärt Franz. Sie leben dort von Stoffen wie Phosphor, Stickstoff oder Kohlendioxid, die teils in Wasser gelöst von oben durch Spalten nach unten wandern. Die Energie für ihren Stoffwechsel beziehen die Mikroorganismen aus chemischen Prozessen an Mineralen. In den Granitkavernen der Volyn-Quarzmine waren offenbar schon vor 1,5 Milliarden Jahren solche Kolonien nahe an der Erdoberfläche vorhanden. Und weil Granit viel Fluor enthält, bildete sich mit Wasser und Hitze im Untergrund stark ätzende Flusssäure, die viel Aluminium und Silizium löste. Wie bei einem Geysir schoss diese Lösung von Zeit zu Zeit in die Kavernen und überzog die Mikroorganismen mit einer mikrometerdünnen Schicht aus Aluminium-Silikat. „Natürlich waren die Mikroorganismen danach tot, aber eben auch perfekt konserviert“, sagt Gerhard Franz. „Weitere Untersuchungen und vielleicht neue Funde werden uns mehr über die Ur-Mikroorganismen erzählen, vor allem auch über die bisher unbekannten Formen auf den Kontinenten, und nicht nur im Meer“, sagt Franz. „Das könnte neue Einsichten zur frühen Entwicklung des Lebens auf der Erde, aber vielleicht auch zur Entwicklung des Lebens unter extremen Bedingungen auf anderen Planeten liefern.“

Originalpublikationen:

Gerhard Franz, Vladimir Khomenko, Peter Lyckberg, Vsevolod Chournousenko, Ulrich Struck, Ulrich Gernert, and Jörg Nissen

The Volyn biota (Ukraine) – indications of 1.5 Gyr old eukaryotes in 3D preservation, a spotlight on the “boring billion”

Biogeosciences, 20, 1901–1924, doi.org/10.5194/bg-20-1901-2023, 2023

Gerhard Franz, Peter Lyckberg, Vladimir Khomenko, Vsevolod Chournousenko, Hans-Martin Schulz, Nicolaj Mahlstedt, Richard Wirth, Johannes Glodny, Ulrich Gernert, and Jörg Nissen

Fossilization of Precambrian microfossils in the Volyn pegmatite, Ukraine

Biogeosciences, 19, 1795–1811, doi.org/10.5194/bg-19-1795-2022, 2022