Was die Welt im Innersten zusammen hält
Peter Higgs bei der Nobelpreisverleihung 2013 | © Foto: Bengt Nyman, CC BY 2.0

Was die Welt im Innersten zusammen hält

Dr. Frank Fleischmann erinnert sich, wie Peter Higgs mit der Entdeckung des „Gottesteilchens“ die Physik verändert hat. Higgs ist Anfang April verstorben, das Gottesteilchen aber mischt weiterhin die Physik auf.

18. April 2024 | von Dr. Frank Fleischmann

Goethe‘s Dr. Faust, auf der Suche nach der Natur unseres Daseins, hatte sich verzweifelt von der Wissenschaft abgewendet, um sich der Magie und dem Teufel zu verschreiben, „dass er erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält.“ Vor knapp 60 Jahren jedoch waren weder Teufel noch Magie im Spiel, sondern eine Reihe kluger Köpfe. In drei zeitgleich im Sommer 1964 erschienenen Publikationen veröffentlichten sechs Wissenschaftler ihre Theorien, warum manche Elementarteilchen eine Masse besitzen und lieferten somit eine Erklärung dafür, was unsere Welt zusammenhält. Demnach beziehen bestimmte zunächst masselose Elementarteilchen, die sogenannten Eichbosonen ihre Masse aus der Wechselwirkung mit einem das gesamte Universum durchziehenden Hintergrundfeld. Dieses Feld sei jedoch nicht direkt zu beobachten, so dass dessen Existent nur indirekt bewiesen werden kann. Die Theorie zur Entstehung der Masse bildeten einen zentralen Baustein für das heute gebräuchliche Standardmodell der Elementarteilchenphysik. 

Eine der drei Publikationen von 1964 stammte von einem jungen, britischen, weitgehend unbekannten Wissenschaftler namens Peter Higgs. Obwohl seine Ideen anfänglich nicht ernst genommen, ist es heute sein Name, der unwiderruflich mit diesen Entdeckungen verbunden ist.

In den 1980er Jahren bestätigten immer leistungsfähigere Teilchenbeschleuniger die Existenz vieler vorhergesagter Elementarteilchen und lieferten so Hinweise für die Richtigkeit der Theorien zur Masseentstehung. Doch es war einzig Higgs, der in seiner Publikation explizit auf ein völlig neues Teilchen hinwies, das sich aus seiner Theorie ableitete. Der Nachweis dieses Teilchens wäre der Beweis für die Existenz dieses ominösen Hintergrundfeldes. Die Suche nach eben diesem Teilchen trieb die Leistung der Beschleuniger immer weiter in die Höhe, um letztlich in dem 27 km langen Ringbeschleuniger Large Hadron Collider am Genfer Kernforschungszentrum CERN zu gipfeln.

Simulation des Zerfalls eines Higgs-Teilchens im Teilchendetektor am CERN. Illustration: Lucas Taylor / CERN, CC BY-SA 3.0

Dort gelang im Jahr 2012 – fast 50 Jahre nach dem es postuliert wurde – der Nachweis dieses Elementarteilchen, des Higgs-Bosons. Im Jahr nach dessen Nachweis erhielt Peter Higgs gemeinsam mit François Englert den Nobelpreis für Physik im Jahr 2013 „für die theoretische Entdeckung eines Mechanismus, der zu unserem Verständnis des Ursprungs der Masse subatomarer Teilchen beiträgt.“, so die Begründung des Nobel-Komitees.

Die Entdeckung des Higgs-Bosons, hatte weitreichende Auswirkungen auch außerhalb der Wissenschaft. So wird das Higgs-Boson in populären Darstellungen häufig als Gottesteilchen bezeichnet, ein Begriff, den Peter Higgs selbst aus Rücksicht auf religiöse Menschen ablehnte. Den Musiker Nick Cave inspirierte der Nachweis des Higgs-Bosons zu seinem Higgs-Boson-Blues, ein musikalisches „Meisterwerk, das uns dazu einlädt, das Leben in seiner ganzen Vielfalt und Komplexität zu umarmen“, wie es einmal von einem Musikkritiker beschrieben wurde.

Higgs selbst führte zeitlebend ein bescheidenes Forscherleben und war bemüht, sich dem Rummel um seine Person bzw. seines Namens bestmöglich zu entziehen. Wie seine Alma Mater, die Universität Edinburgh mitteilte, ist Peter Higgs am 8. April 2024 im Alter von 94 Jahren verstorben.

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Physical Review Letters: journals.aps.org/prl/50years/milestones